Warum man Adolescence gesehen haben sollte.
- Tanne
- 23. März
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. März
Adolescence erzählt die Geschichte des 13-Jährigen Jamie Miller und beginnt damit, dass die Polizei das Haus der Familie stürmt und den Jungen verhaftet. Er steht im Verdacht eine Mitschülerin mit sieben Messerstichen ermordet zu haben.
Was in der 4-teiligen Miniserie, jede etwas 1 Stunde lang, folgt, darf man durchaus als Albtraum einer jeder Familie bezeichnen. Stephen Graham spielt den Vater des 13-jährigen Jungen, ist dabei noch Co-Produzent und hat auch das Drehbuch mitgeschrieben. Wie Graham mitteilt, war die zentrale Frage, die ihn beschäftigte, "Was passiert heutzutage mit den jungen Männern und welchem Druck sind sie von Gleichaltrigen, vom Internet und von den sozialen Medien ausgesetzt?"
Die Story
Am Anfang der Geschichte, weiß man nicht wirklich, ob der Junge die Tat begangen hat. Er leugnet dies auch vehement und sein Vater, der ihm als Beistand zur Seite gestellt wird, glaubt ihm natürlich.
Im Verlauf der Ermittlungen wird klar, dass Jamie Katie erstochen hat – den Ermittlern aber die Tatwaffe und auch ein Tatmotiv fehlt. Die Ermittler machen sich auf dem Weg in die Schule und es folgen Unterredungen mit Schüler*innen, wobei klar wird, dass in der Schule Mobbing an der Tagesordnung zu sein scheint, Lehrer wiederum grenzenlos überlastet sind mit Schüler*innen die scheinbar außer Rand und Band sind. Dankenswerterweise gibt der Sohn des ermittelnden Detektivs seinem Vater letztendlich die entscheidenden Hinweise, wie man Kommentare unter Instagram Accounts encodieren kann und es wird klar, dass zumindest einige der jungen Männer sich offensichtlich von der INCEL Szene haben beeinflussen lassen, was die Ermittlungen auf die Social Media Accounts der Schüler*innen lenkt. Bestimmend für die Story ist aber nicht nur die generelle Geschichte, sondern die Interaktion der verschiedenen Beteiligten, die versuchen eine Antwort auf die Frage zu finden, warum ein 13-jähriger Junge eine Mitschülerin tötet.
One take: Auch filmisch ist Adolescence ein Meisterwerk
Die ohnehin schon sehr intensive und düstere Story wird durch die filmweise verstärkt. Die Folgen wurden alle mit einem Take (sprich ohne Unterbrechung) gedreht und somit gibt es auch keine Schnitte. Abgesehen davon, dass ein solches Vorhaben eine extrem gute Vorbereitung der Technik voraussetzt, ist es auch eine Herausforderung für die Schauspieler, da man Szenen eben nicht beliebt oft wiederholen kann – denn: es gibt nur eine Szene und die dauert hier halt zwischen 50-60 Minuten.
Wirkt das dann nicht langweilig? Im Gegenteil: Der Punkt hierbei ist, dass man normalerweise zum Beispiel einen Schnitt setzt, wenn man eine andere Person in den Mittelpunkt des Geschehens holt. In Adolescence hat man dies anders gelöst. Die Kamera folgt einer Person zum Beispiel aus einem Zimmer heraus auf einen Gang, wo eine andere Person an dieser vorbeiläuft und die Kamera dann „einfach“ dieser Person weiter folgt. Dafür braucht es dann in diesem Moment keinen Schnitt. Sehr beeindruckend fand ich persönlich eine Aufnahme im zweiten Teil der Serie, wo die Kamera Katies Freundin aus der Schule heraus folgt, dann aber abhebt (die Kamera wurde auf einer Drohne installiert) und über die Dächer hinweg zu einem nahegelegenen Ort fliegt, wo Menschen Blumen für die ermordete Katie ablegen.
Die Kameraführung sorgt dafür, dass man jederzeit die gesamten Emotionen der verschiedenen Darsteller mitnimmt. Man hat als Zuschauer keine Verschnaufpause, was Adolescence so eindringlich und beklemmend macht. Für mich hat die Kombination aus Story & one-take-Aufnahmen dafür gesorgt, dass die Verzweiflung der Protagonisten noch potenziert wurde.
Alle Darsteller sind authentisch, aber Owen Cooper ist grandios
Mit Owen Cooper hat man einen recht unerfahrenen Darsteller ausgewählt, aber man hätte es wohl kaum besser treffen können. Die Intensität, mit der er Jamie spielt und dabei zwischen kindlich-ängstlichen und hochemotionalen aggressiven Jugendlichen hin- und her wechselt, ist genauso beindruckend, wie erschreckend, sorgt aber auch dafür, dass dieser Jugendliche zu 100 % authentisch erscheint.
Fazit
Wer ein kurzweiliges Krimi-Drama mit einer konsistenten, einfachen Story erwartet, wird enttäuscht werden. Adolescence ist keine leichte Kost, schon gar nicht für Eltern und "funktioniert" eher auf der emotionalen Ebene und der Interaktion der Schauspieler. Wie Graham in einem Interview sagte:
"Wir hätten ein Drama über Gangs und Messerkriminalität machen können oder über ein Kind, dessen Mutter Alkoholikerin oder dessen Vater ein gewalttätiger Täter ist. Stattdessen wollten wir, dass ihr euch diese Familie anschaut und denkt: 'Mein Gott. Das könnte uns passieren!" Und was hier passiert, ist der schlimmste Albtraum einer gewöhnlichen Familie."
Und genau das ist der Punkt. Adolescence legt den Finger in die Wunde. Die Aggressivität unter Jugendlichen nimmt zu und was machen wir als Gesellschaft dagegen? Einer Gesellschaft, die es feiert, wenn Vergewaltiger hohe Ämter begleiten und in denen junge Männer auf der Suche nach Orientierung sich Andrew Tate Videos anschauen und feiern, wie man gewaltbereit auf Zurückweisungen reagiert?
Jamies Eltern fragen sich, wie sie das alles hätten verhindern können, sie erzählen unter Tränen von ihren Erinnerungen an ihr Kind, als es noch mit Schokoeis verschmiert zuhause saß und nun plötzlich hat ihr Sohn ein Mädchen erstochen. Warum? Dieses "Warum" treibt alle Erwachsenen in der Serie um. Die Eltern, die Ermittler, die Lehrer - aber eine Antwort wird uns nicht direkt geliefert - aber gerade deswegen ist es eben auch schwer auszuhalten.
Wenn wir von Täter*innen hören, die eine schlechte Kindheit hatten, die misshandelt wurden, dann fällt es uns leichter, auch grausame Taten einzuordnen, auch wenn es Jugendliche sind. Aber was ist mit Jugendlichen, wo all dies nicht so war? Die einfach in einer durchschnittlichen Familie aufwuchsen und sich dennoch mit Mobbing in der Schule und „Incel-Orientierungsvideos“ durch die Welt bewegen und scheinbar zu wenig Unterstützung bekommen?
Nein, Adolescence ist nicht einfach nur ein beliebiges Krimidrama, es ist ein Spiegel für unsere Gesellschaft und wir sollten und müssen alle gemeinsam besser hinschauen und Gewalt gegen Menschen nicht länger schweigsam hinnehmen.
Weitere Infos zum Dreh und zur Story gibt's hier: Adolescence Cast, News, Videos and more
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